Das grosse Los

Wie ich bei Günther Jauch eine halbe Million gewann und einfach losfuhr

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  • Buch auf Amazon
  • ISBN: 978-3813505047
  • Mein Rating: 7/10

In Das grosse Los erzählt die Autorin von ihrer einjährigen Weltreise, während der sie 12 verschiedene Städte besuchte und dort jeweils für einen Monat wohnte.

Ich fand die Idee hinter dem Buch – 12 Städte in 12 Monaten zu besuchen – sehr interessant und der Autorin gelingt es, die Reiselust in einem zu wecken. Das Buch ist gut geschrieben, doch fand ich das gewählte Format mit jeweils einem "Brief" aus jeder Stadt gewöhnungsbedürftig. Es wirkt sehr persönlich, doch zum Teil steht die Selbstreflektion zu stark im Vordergrund und die entsprechende Stadt rückt in den Hintergrund. Besonders ausgeprägt ist dies beim Kapitel über Kopenhagen... Da die Grundlage für das Buch das Reiseblog der Autorin war, lohnt es sich auch, einen Blick darauf zu werfen.

Meine Notizen

Vorwort

Ich habe gerade 500000 Euro bei Wer wird Millionär? gewonnen. [...] Wenn einem so etwas passiert, ist es erst mal gar nicht das grosse Glücksgefühl, wie man immer denkt, sondern eine einzige Überforderung. Das Hirn ist Matsch, der Magen ein Knoten, ich schwanke zwischen angestrengter Coolness, hysterischem Kichern und stummem Kopfschütteln.

Man trottet so durchs Leben, das sich manchmal anfühlt, als ob's ein anderer für einen geplant hätte. Kein schlechtes Leben, überhaupt nicht. Aber diese leise Stimme, die sagt: Da geht noch was, das war noch nicht alles – die ist immer da. Wie wäre es wohl, der einfach mal zu folgen?

Sydney, Australien

Rasen betreten erbeten, und das in einem der schönsten botanischen Gärten der Welt. [...] "Ausserdem sind sie herzlich eingeladen, an den Rosen zu riechen, die Bäume zu umarmen, mit den Vögeln zu reden und auf der Wiese zu picknicken" – genau so ist die ganze Stadt, eine ständige Aufforderung zum Genuss bei gleichzeitigem Pfeifen auf die Gepflogenheiten.

Was ich nicht bedacht hatte: Losfahren hat auch mit Loslassen zu tun.

Das Wunderbare daran, von etwas überhaupt keine Ahnung zu haben: Du machst rasend schnell Fortschritte. Von geht überhaupt nicht zu geht schon ein bisschen ist es nur ein winziger Schritt, aber ein riesiges Glücksgefühl.

Es war für mich so ultimativ australisch: Leute kommen an einem entspannten Samstagnachmittag zusammen, um mit hoher Ernsthaftigkeit etwas hinreissend Albernes zu machen.

Es geht mir ja nicht darum, nichts zu tun. Es geht mir darum, das, was ich tue, woanders zu tun. Letztlich ist, was ich hier mache, ein einjähriger Laborversuch: Ich tauche in zwölf unterschiedliche Umgebungen ein und schaue, was die Städte mit mir machen. Wie sie mich verändern oder nicht, wie sie vielleicht auch meine Arbeit inspirieren.

Es ist ja unfassbar leicht, neue Leute kennenzulernen: Tu, was dir gefällt, und du wirst dabei auf Menschen treffen, die dir gefallen.

Früher habe ich immer geglaubt, dass eine Entscheidung für etwas eine Entscheidung gegen alle anderen Optionen ist. Nicht notwendigerweise, stelle ich inzwischen fest. Ich kann reisen und arbeiten, ich kann woanders sein und dank Skype und E-Mails trotzdem Kontakt zu meinem alten Leben halten.

Freiheit ist erst mal eine Zumutung, niemand von uns hat gelernt, wie das geht. Wenn einem niemand die Entscheidung abnimmt, womit der Tag zu füllen ist – kein Boss, keine Familie, keine Institution – und man völlig ohne Strukturen lebt, ist das ebenso berauschend wie beunruhigend. Man muss regelrecht trainieren, freihändig zu gehen.

Ich muss überhaupt nichts in diesem Jahr, aber ich darf alles. Eben auch arbeiten. Und Arbeit verändert sich radikal, wenn man sie vom Müssen zum Wollen umdefiniert.

Eine Frage, die ich mir in diesem Jahr noch öfter stellen werde: Wer bin ich, wenn keiner zuguckt? Tue ich vieles zuhause nicht einfach nur deshalb, weil man es von mir gewohnt ist und folglich erwartet? Wie verändert man sich, wenn man fern der Vorstellungen lebt, die die anderen von einem im Kopf haben?

Je öfter man sich kleine Dinge traut, desto leichter fallen die grossen.

Buenos Aires, Argentinien

Immer gut, einen Plan B zu haben – das Wissen um ihn ist die beste Garantie, ihn nie zu brauchen.

Die [Schuh-]Verkäuferinnen sind Meisterinnen der Kunst, gelangweilt in die andere Richtung zu gucken, wenn man Beratung braucht. Hat man endlich ihre Aufmerksamkeit, schaffen sie ein zweites Kunststück: vor einem zu knien und trotzdem auf einen herabzublicken.

Das Glück des Reisens ist der Zufall.

Mumbai, Indien

Hier geht kein Westler ausser mir zu Fuss. Ich werde angestarrt, als ob ich irgendwo entsprungen wäre. Gehen ist für Arme, die sich nichts anderes leisten können.

Bleibe ich irgendwo stehen, an einer Ampel zum Beispiel oder um etwas zu fotografieren, werde ich mit Sicherheit angesprochen, weil mich einer zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt führen will, insbesondere der grössten: seinem Cousin, der wahnsinnig billige Handys hat. Bettlerinnen ziehen so lange an einem, bis man ihnen einmal entnervt etwas gibt, damit sie verschwinden. [...] Indien ist wie Spam: Dieses Nerven klappt vielleicht in einem von 100 Versuchen, aber das reicht. Und deshalb wird es gemacht. Es ist ein täglicher Kleinkrieg, den ich je nach Laune mal besser, mal schlechter ertrage, aber nie gut.

Verunsicherung, Herausforderung, Desorientierung, Staunen: Warum reist man sonst? Um genau so unberührt wieder abzufahren, wie man gekommen ist? Um seine Langeweile mal in einer anderen Umgebung Gassi zu führen?

In der Ferne ist das Internet eine Nähemaschine; es liefert Unterstützung, Ermunterung, Halt, Trost.

Indien war der grösste Kulturschock, den ich je erlebt habe. Nach drei Tagen wollte ich nur noch weg. Und bin unglaublich froh, geblieben zu sein.

Shanghai, China

Everything is okay in the end. If it's not okay it's not the end.

Wir dürfen alles. Und wir können uns jederzeit umentscheiden. Das macht das Leben nicht etwa einfacher, sondern komplizierter. Ohne Leitplanken ist der Weg nun mal schwieriger zu finden.

Zu sehen, wie es die anderen machen, welche Möglichkeiten und Ideen es noch so auf der Welt gibt und dass es noch andere Möglichkeiten gibt, sein Leben zu leben, ist jeden Schritt vor die Tür wert.

Selbst hinfahren, hingehen, hinschauen ist die einzige Möglichkeit, sich von seinen Vorurteilen zu befreien.

Eisernes Gesetz beim Reisen und auch sonst im Leben: Alles mindestens einmal probieren.

Honolulu, Hawaii, USA

Man muss eine Stadt lieben, die Surfern ein Denkmal baut.

Das ist das Harte am Reisen: Es ist kein Leben. Das Glück der Freiheit und der Fremde bedeutet den Verlust von Zugehörigkeit und Nähe und Kontinuität.

Man darf sein Leben nicht damit verschwenden, Erwartungen zu erfüllen. Nicht mal die eigenen. Es ist erstaunlich, wie wenig man wirklich muss, wenn man mal ernsthaft darüber nachdenkt.

San Francisco, USA

Heimat ist nicht da, wo man geboren ist, sondern wo man begraben werden will.

Beim Reisen ist es fast unvermeidlich, mit einer Idee eines Ortes im Kopf zu starten, mit ein paar groben Konturen, die sich dann nach und nach mit Farbe und Details füllen. Welche Details, diktiert der Zufall, aber natürlich auch die Erwartung und die gezielte Aufmerksamkeit.

Etwas finden, was man nicht gesucht hat, darum geht's beim Reisen wie im Leben. Wenn man erst mal begonnen hat, die selektive Wahrnehmung abzulegen, die Welt im Weitwinkel zu sehen und sich allem wieder unvoreingenommen zu nähern, ist plötzlich alles aufregend, alles interessant. Ich lerne wieder, die ganz einfachen Fragen zu stellen: Was ist das? Wie geht das? Warum macht ihr das so? Und ich stelle fest: Auf die einfachsten Fragen gibt es die besten Antworten.

London, UK

Ich mag es so, wenn Leute lieben, was sie tun. Wenn sie ihr Ding eigensinnig und mit Spass durchziehen und sich ihre Welt genau so zurechtdengeln, wie es für sie gut ist.

Was ich an London so liebe: Für jede bescheuerte Idee finden sich garantiert Tausende von begeisterten Mitmachern.

Merkwürdige Ideen ziehen interessante Leute an.

Wenn mir eins klar geworden ist, dann das: Wir denken viel zu oft in Entweder/oder, viel zu selten in Sowohl/als auch. Man muss nicht alles Alte aufgeben, um etwas Neues ins Leben zu lassen.

Kopenhagen, Dänemark

Falls Plan A nicht funktioniert: Das Alphabet hat 25 weitere Buchstaben.

Das Leben schrumpft oder dehnt sich aus proportional zum eigenen Mut.

Anaïs Nin

Barcelona, Spanien

Ich hätte das Geld von Wer wird Millionär? gar nicht gebraucht. Ich hätte jederzeit losziehen können. [...] Andererseits weiss ich auch, dass ich ohne den Gewinn so ein Jahr nicht mal ansatzweise in Erwägung gezogen hätte; ich wäre schlichtweg nicht auf die Idee gekommen, es mir leisten zu können. Es war mein bisher allergrösstes Aha-Erlebnis und hoffentlich eine Lehre fürs Leben: Es ist immer viel mehr möglich, als man in seiner Betriebsblindheit für denkbar hält.

Tel Aviv, Israel

Oft braucht man einen Fusstritt, um das zu tun, was einen glücklich macht.

Hinfahren, hingucken, mit Leuten reden. Es gibt wirklich keinen anderen Weg, sich ein Bild der Welt zu machen.

Wir sehen die Dinge nicht, wie sie sind. Wir sehen sie, wie wir sind.

Anaïs Nin

Addis Abeba, Äthiopien

Ich bin in diesem Jahr unglaublich gut in "Love it, change it or leave it" geworden. Wenn man keine Zeit zu verschwenden hat, radikalisieren und beschleunigen sich die Entscheidungen ganz enorm.

Pläne über den Haufen werfen, wenn sie sich im Lauf der Zeit als ungenügend entpuppen, Gelegenheiten nutzen, nicht starrsinnig sein. Ideen sind oft nur Initialzündungen, um den Karren in Bewegung zu setzen. Wenn er aber erst mal rollt, darf man sich auch wieder von ihnen verabschieden. Und ihn in eine andere Richtung lenken.

Havanna, Kuba

Ich habe mich oft gefragt, ob ich dieses Jahr anders erlebt hätte, wenn ich ein Mann wäre. Keine Frage, dass man als Mann mehr Bewegungsfreiheit hat. [...] Gleichzeitig hatte ich den Eindruck, als Frau offenere Türen vorzufinden, leichter in Kontakt zu kommen mit den Leuten, die von mir ja nichts befürchten mussten.

Der Tourist zerstört, was er sucht, indem er es findet.

Hans Magnus Enzensberger

Und jetzt?

Natürlich ist eine Weltreise alles andere als ein etwas verlängerter Urlaub vom Alltag. Sie ist ein Experiment mit ungewissem Ausgang. Sich selbst mit allen Stärken und Schwächen in ganz anderen Kontexten zu erleben, es mal ein Jahr lang auszuhalten, dass einem keiner sagt, was zu tun ist und was richtig ist, und sich dabei die eine oder andere grundsätzliche Frage stellen zu dürfen, das war das grösste Geschenk, das mir je gemacht wurde.

Auf Reisen gleichen wir einem Film, der belichtet wird. Entwickeln wird ihn die Erinnerung.

Max Frisch