Nach Amerika

Lebensberichte von Schweizer Auswanderern

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  • ISBN: 978-3857917103
  • Mein Rating: 7/10

Nach Amerika ist eine Sammlung von neun Kurzbiografien, und Auszügen aus vier Autobiografien, von Schweizern, die in die USA ausgewandert sind.

Ich fand die verschiedenen Biografien interessant, gerade auch, weil es sich dabei um die Biografien von "normalen" Menschen handelt. Besonders beeindruckt haben mich diejenigen, die ohne Englischkenntnisse ausgewandert sind. Schade fand ich hingegen, dass nur Männer porträtiert wurden, und Frauen nur am Rande erwähnt werden. Ich hätte deshalb gerne noch einige Porträts über ausgewanderte Frauen gelesen. Dafür hätten die Auszüge aus Autobiografien weggelassen werden können, sie wirkten auf mich fehl am Platz.

Meine Notizen

"Ich fühlte mich auf einmal zu Hause in New York" (Philip Gelzer, 1927, von Basel-Stadt nach Greensboro, North Carolina)

Vater hat uns seine Anspruchslosigkeit für alles Weltliche und Materielle vorgelebt. Das Gegenteil von dem, was heute in Amerika praktiziert wird.

Die Direktion der Schweizerischen Volksbank [heute Credit Suisse] ermutigte mich, nach Amerika zu gehen. Wenn man weiterkommen wollte, gehörte ein US-Jahr dazu. Amerika galt als grosses Vorbild. Die Leute fragten nicht, was man dort machte. "IAG" [in Amerika gewesen] im Zeugnis war einfach wichtig für eine erfolgreiche berufliche Laufbahn!

Wenn ich auf mein Leben zurückschaue, waren die schwersten Zeiten die Jahre auf dem Gymnasium und das Sterben meiner ersten Frau. Aber immer wieder ging es irgendwie weiter.

"Ich trage den roten Schweizer Pass im Herzen" (Donald Tritt, 1931, von Columbus, Ohio, nach Granville, Ohio

[...] schön wäre es, ich hätte den Schweizer Pass. Vater war es damals als Einwanderer der ersten Generation nicht bewusst, dass er für meinen Bruder und mich die Doppelbürgerschaft hätte beantragen sollen. Und trotz intensiver Bemühungen scheint es unmöglich, dass ich doch noch Schweizer werden darf.

Und wenn ich hier am Waldrand in mein Haus eintrete, sehe ich als Erstes die markante Kapelle von St. Stephan und fühle mich ins Simmental versetzt, wo meine Ursprungsfamilie herkommt. Ich habe die Gegend um den Weiler St. Stephan über mehrere Meter hinweg an die Zimmerwände malen lassen [...].

"Amerika war damals für viele Schweizer ein Traum" (Heinz Bachmann, 1933, von Neuhausen am Rheinfall nach Comus, Maryland

Auswandern war für mich eigentlich nie ein Thema. Die Weltbank war es, die mich nach Amerika führte. Wir zogen vor 46 Jahren mit der Absicht nach Washington, drei, vier Jahre zu bleiben, um praktische Erfahrung zu sammeln. Wir kamen nicht als Auswanderer, sondern mit internationalem Beamtenstatus und UNO-Pass.

Die Schweizer Armee wollte mich bei der Aushebung 1952 nicht, obwohl ich sportlich und gut trainiert war. Die Relation zwischen Brustumfang und Grösse stimmte nicht.

Als Schweizer war ich oft etwas weltoffener und flexibler. Im Gegensatz zu vielen Amerikanern sind wir – meistens – nicht felsenfest davon überzeugt, dass unser Heimatland das Beste der Welt ist, und alle anderen es so machen sollten wie wir.

Es ist unglaublich, wie anders ein Land aussieht, wenn man mit dem Planungsminister spricht oder dem Direktor einer lokalen Kondensmilchfabrik.

Wir reden schon lange davon, in die Schweiz zurückzukehren. Aber unsere Kinder haben in Amerika Wurzeln geschlagen. Das macht es so schwierig, uns zu entscheiden.

Aber die Brücken hier einfach abzubrechen und zurück in die Schweiz zu ziehen – das macht uns auch etwas Angst. Wir sind seit fünfzig Jahren fort aus der Schweiz. Vielleicht probieren wir es mal so: ein halbes Jahr hier, ein halbes Jahr dort. Ich weiss, dass Ilse [seine Frau] nicht in Amerika sterben will; ich auch nicht, obwohl wir unsere Familie hier haben.

"Mit Touristenvisa eingereist, gelang es mir, eine Farm zu kaufen" (Jürg Padrutt, 1936, von Chur nach Decatur, Illinois

Ich weiss, einer unserer Nachbarn [...] spöttelte damals: "Nimmt uns Wunder, wie lange der Swiss Boy das hier macht!" Aber die Farmer in der Gegend merkten bald, dass ich lernwillig war und Einsatz zeigte, dass ich es ernst meinte.

Mama und ich besuchten Meili [die jüngere Schwester] 1965 auf dem Hof der Familie Friends in Warrensburg, Illinois. Meine Begeisterung war riesig, die weiten Felder und die weitgehende Mechanisierung zogen mich völlig in den Bann. Wie eng und kleinräumig kam mir alles vor, als ich drei Wochen später zuhause vor einem Haufen abgesägter Obstbaumäste stand und "Bündeli" machte!

Ich spürte, hier in Amerika würde ich mein Leben nach meinem Gusto aufbauen können. Und es war mir klar, ein derart grosses Stück Land hätte ich mir in der Schweiz nie und nimmer leisten können.

Rückblickend muss ich sagen: Es war verrückt von mir, aufs Geratewohl einen Hof zu kaufen. Ich weiss, auch wenn es nicht so gelaufen wäre, wie ich es mir wünschte: Zurückkehren in die Schweiz – das hätte viel gebraucht. Das hätte mein Stolz wohl kaum zugegeben.

"Englisch sprach ich nicht, aber Amerika war mein Traum" (Albert Zeller, 1939, von Waldkirch nach Peoria, Illinois)

Mit dem Ersparten aus der Lehre und dem Erlös aus dem Verkauf meines Fahrrads kaufte ich mir ein Einwegticket nach Chicago: 1'100 Franken legte ich dafür auf den Tisch und reiste mit den verbliebenen 65 Dollar im Sack in die Neue Welt. Englisch sprach ich nicht, aber Amerika war mein Traum.

1962 hiess es: Einzug in die amerikanische Armee oder das Land umgehend verlassen! [...] Ich hätte als Freiwilliger nach Vietnam gehen können, den Befehl, dort Dienst zu tun, gab es damals noch nicht. Ich wäre als Soldat in Vietnam gut bezahlt worden, aber ich hatte doch Respekt vor einem solchen Auslandeinsatz und entschied glücklicherweise, in Kalifornien zu bleiben.

Im Militärdienst lernte ich viel mehr, als ich im Zivilen je gelernt hätte. Es war eine harte Ausbildung, die mich Disziplin und Durchhaltevermögen lehrte.

Ich musste von der Pike auf lernen, wie man ein Restaurant führt. Mit genauer Beobachtung, Kreativität und vor allem gesundem Menschenverstand, und wenn man bereit war, die Ärmel hochzukrempeln, war es in Amerika möglich, ins Gastgewerbe einzusteigen.

Meine Strategie war es, nur auszugeben, was ich hatte, einfach zu leben und zu sparen.

Was ich am meisten schätze in meinem Leben, ist die Freiheit. Keiner sagt hier, das geht nicht, das ist zu gefährlich. Auch jetzt im Alter nicht.

"Ich wollte raus, weg aus der Enge, so schnell wie möglich" (Franz Portmann, 1940, von Günikon-Hohenrain nach Hockessin, Delaware)

Zu Hause schenkte man uns Kindern wenig Aufmerksamkeit, was handkehrum auch Freiraum bedeutete.

[...] daheim bei den Söhnen des Gemeindeschreibers, des Metzgers und des Bäckers standen Autos vor dem Haus; wir besassen nicht mal einen Radioapparat.

Ich merkte bald, dass das Leben auf dem Schiff nicht meines war. Ein Grossteil der Besatzung hatte Syphilis; einer der Matrosen "feierte" gar seine vierzehnte Erkrankung an dieser Seuche! An Bord gab es 35-Jährige, die aussahen wie sechzig – völlig ruiniert vom Alkohol und den Frauen, die sie in den Bordellen der unzähligen Häfen aufsuchten.

Cape Town gefiel mir, aber mit Schwarzen durften wir uns nicht unterhalten. Wir wären sonst mit Peitschenhieben bestraft worden.

Für immer auswandern wollte ich nicht. Mein Ziel war es, nach fünf Jahren als stolzer Millionär aus den USA in die Schweiz zurückzukehren.

[...] ich muss zugeben: erfolglos in die Schweiz zurückzukehren, das hätte mir mein Stolz nicht zugegeben.

Amerika hat sich verändert. Und wenn ich heute in die Schweiz heimreise, bin ich nicht mehr der stolze Amerikaner von 1969. Manchmal meine ich beinahe, ich müsste mich für meine US-Staatsbürgerschaft schämen.

"Ich stand bei der Golden Gate Bridge und sagte mir: 'Ich glaube, ich bin nie mehr Elektriker!'" (Stefan Kälin, 1942, von Einsiedeln nach Aspen, Colorado)

Als meine Frau Stascha und ich 1974 hierher zogen, war Aspen noch ein Dorf.

[...] ich lernte im Spitzensport sehr viel für mein Leben. Ich lernte, zu verlieren und wieder aufzustehen. Immer wieder erlebte ich Stürze, wurde disqualifiziert und natürlich in den Medien schlechtgemacht. Für mich war der Skirennsport eine Lebensschule.

"Die Beamten schrieben 'Bear' ins Formular, und seit da heisse ich 'Bear'" (Ruedi Bear, 1944, von Wädenswil nach Mancos, Colorado)

Mein Haus ist spartanisch eingerichtet, ich hasse viel materielles Zeugs um mich herum. Dass es mir wohl ist und ich meinen Frieden habe, das zählt.

Die Schulleitung [der Handelsschule] warf mich im ersten Winter raus, als ich, angeblich mit Grippe krankgeschrieben, nach einer Trainingswoche in den Bergen braungebrannt ins Schulzimmer zurückkehrte. Sie seien keine Schule für Spitzensportler, war die Begründung. Ein Drama war das überhaupt nicht. Mutter fand, ich könne genauso gut bei ihr die KV-Lehre absolvieren und daneben so viel Ski fahren, wie ich wolle.

Wie ein Vagabund zog ich von Rennen zu Rennen quer durch Amerika. Man nannte mich "the gentleman hippie from Switzerland", und eine gute Party war mir wichtiger als der Alltag – Ski, Sex, Drugs and Rock'n'Roll.

Im ersten Winter stellte mich das Elektrizitätswerk vor die Wahl, entweder mein Haus oder mein Geschäft von der Elektrizität abzuschalten, weil ich die Rechnungen nicht bezahlen konnte. Ich wählte das Haus. Im Kerzenlicht und in Decken gehüllt sassen wir am Cheminéefeuer.

Die Amerikaner verstehen die Improvisation. Sie sind nicht gerne abhängig, und sie beklagen sich selten, auch wenn es ihnen schlecht geht. Sie verzweifeln selten. Wenn etwas nicht funktioniert, erfinden sie einfach etwas Neues. Diese Eigenschaften bewundere ich, und sie haben in über vierzig Jahren auch ein wenig auf mich abgefärbt.

"Verrückt, ich der unerfahrene Bergbub, durfte nach Amerika!" (Hans Lenzlinger, 1947, von Unterwasser nach New Glarus, Wisconsin)

In der Schweiz zu leben, kann ich mir nicht mehr vorstellen. Wir haben zwei Grosskinder – meine Wurzeln sind jetzt hier. Und ich könnte nirgendwo anders in den USA leben als hier in New Glarus. [...] Von den drückenden Problemen Amerikas merken wir relativ wenig. Wir sind ein "Käffli", hier ist die Welt noch ein Stück weit in Ordnung.

"Amerika hat mir in meinem Leben vieles ermöglicht" (Albert Daub, 1899-1991, von Zürich nach Westwood, New Jersey)

Das Wetter war schlecht, leichter Regen und Nebel. Schliesslich konnte man einen Ruf hören: "Dort ist sie", und die Freiheitsstatue stieg aus dem Nebel. Ich kam aus einem Land, in dem die Leute frei waren, aber viele der Passagiere hatten Tränen in den Augen, als sie die Freiheitsstatue sahen.

Ich war eine Stunde, nachdem ich das Schiff verlassen hatte, an der Arbeit, gewiss ein Rekord!

Die Geschehnisse in Deutschland machten unsern Ort sehr deutschfeindlich, und hier waren zwei Schweizer, die "King's"-Englisch mit ausgeprägt deutschem Akzent redeten. Es war schlimmer für mich als für meine Frau, da ihre Grammatik und Aussprache viel besser waren.

"Ich kam doch nicht nach Amerika, um Tellerwäscher zu werden" (Paul Grossenbacher, 1904-1990, von Burgdorf nach New Glarus, Wisconsin)

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"Ich versicherte ihm, ich hätte keine Absicht, in Amerika zu bleiben" (Gustav T. Durrer, 1911-2001, von Luzern nach New York City

Ich war erkoren worden, in der amerikanischen Armee zu dienen! Noch war ich nicht Bürger und konnte ablehnen, würde dadurch aber auch die Möglichkeit verlieren, je Bürger der Vereinigten Staaten zu werden. Zugleich würde meine Zahnarztlizenz verfallen, falls ich nicht innert sechs Jahren das Bürgerrecht erhalten hätte. Alle Wege führten in die Armee.

"Ellis Island war ein Gefängnis, darüber bestand kein Zweifel" (Walter Angst, 1919-1999, von Zürich nach Silver Spring, Maryland)

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