Der nächste Schritt

Nach jedem Berg bin ich ein anderer

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  • Buch auf Amazon
  • ISBN: 978-3890294063
  • Mein Rating: 8/10

In Der nächste Schritt erzählt der bekannte Extrembergsteiger Ueli Steck – der 2017 tödlich verunglückte – von einigen seiner Projekte im Himalaya und in den Alpen. Mit den einen war er erfolgreich, bei anderen scheiterte er.

Ich fand Der nächste Schritt ein faszinierendes Buch. Immer wieder musste ich staunen über Steck's Leistungsfähigkeit am Berg, wie er scheinbar mühelos Berge "hinaufrennt" und gewaltige Touren meistert (wobei dahinter natürlich hartes Training und jahrelange Erfahrung stecken). Um mir das Beschriebene besser vorstellen zu können, hätte ich mir Fotos/Grafiken mit eingezeichneten Routen gewünscht. So sagten mir, zum Beispiel, die Namen von Schlüsselstellen in der Eigernordwand nichts.

Meine Notizen

Everest: Wenn die Welt plötzlich eine andere ist

Ich befürchtete, dass der Ärger der Expeditionsunternehmen sich über uns ergiessen würde, wenn ihre Kunden nicht ins Lager 3 aufsteigen konnten und sie das Gefühl hätten, wir seien daran schuld. Deshalb begann ich, die restlichen 260 Meter Seil, die noch zur Verfügung standen, bis ins Lager zu verlegen. Ich fühlte mich dafür verantwortlich, dass die Strecke fixiert war. Was ich dabei nicht bedachte, war der Stolz der Sherpas. Dass sie sich in ihrer Ehre verletzt sehen würden, weil wir innerhalb von kürzester Zeit ihre Arbeit erledigten, dass das einen schwerwiegenden Gesichtsverlust für sie darstellen würde, das war mir in diesem Moment nicht bewusst.

Mingma, der Leader der Sherpas, kam direkt auf mich zu. Bevor ich etwas sagen konnte, schlug er mir seine Faust auf die Nase. Einfach so. Ein Stein kam geflogen und traf mich im Gesicht. Ich war perplex, verstand nicht, was vor sich ging.

"Gebt ihn heraus! Wir bringen ihn um!" Vor dem Zelt standen hundert aggressive Männer und riefen auf Englisch nach mir.

Mir ging durch den Kopf, dass das absolut lächerlich war – wie viele Expeditionen hatte ich schon unternommen, ohne dass etwas passiert war, wie viele kritische Situationen hatte ich überlebt, und jetzt kauerte ich hier am Everest in einem Zelt und wartete darauf umgebracht zu werden. Das gab es doch nicht. Das Ganze war so absurd, dass es mich zur Verzweiflung brachte.

Es waren viele Faktoren, die den Erfolg beeinträchtigen konnten. Aber ich war überzeugt, dass wir alles detailliert geplant hatten und über die erforderlichen körperlichen Voraussetzungen verfügten. Wir waren auf dem besten Weg zu unserem Ziel. Doch dann nahm unser Projekt innerhalb kürzester Zeit eine Wendung, in deren Folge es nicht mehr ums Bergsteigen ging. Auf einmal waren wir in einen Konflikt zwischen Kulturen, um Macht und Geld verwickelt.

Sherpas befinden sich in einer schwierigen Situation. Sie machen die Arbeit eines Bergführers, haben aber keine Autorität. [...] Wenn am Matterhorn ein Bergführer zu seinem Gast sagt, man müsse umdrehen, weil er den Anforderungen nicht gewachsen sei, dann dreht man um. Am Everest ist das umgekehrt. Die Kunden setzen sich grundsätzlich über die Meinung und den Rat der Sherpas hinweg.

Auch wenn man nicht wirklich damit rechnet, ist das die Realität des Alpinismus: dass ab und zu einer nicht mehr heimkommt. In diesem Sinne war mir immer bewusst, dass mein Leben jederzeit, von einem Augenblick auf den anderen, vorbei sein kann. Dass es keine Sicherheiten gibt. Das Risiko beim Bergsteigen, das hatte ich akzeptiert. Womit ich nicht zurechtkam, war das Verhalten der Menschen, die Aggressivität, die mir entgegengeschlagen war.

Annapurna: Ganz oben und ganz unten

Ich begann zu klettern. Was dann geschah, entzieht sich meiner Erinnerung – ein schwarzer Fleck in meinem Gedächtnis. Mit dem Gesicht im Schnee liegend kam ich wieder zu mir. Ich musste 200 bis 300 Meter aufgestiegen, von einem Stein getroffen worden und abgestürzt sein; mein Kletterhelm war auseinandergebrochen. Ich hatte riesiges Glück gehabt, dass ausser einer Gehirnerschütterung, Prellungen und einigen Zerrungen nichts Ernsthafteres passiert war.

Ich eilte weiter ins Lager 4, wo Iñaki in miserablem Zustand in seinem Zelt lag. Die ganze folgende Nacht lang spritzte ich ihm Medikamente, flösste ihm Wasser und etwas Nahrung ein, doch sein Befinden verschlechterte sich mit jeder Stunde weiter. Am Morgen hörte er schliesslich auf zu atmen. Einmal konnte ich ihn noch wiederbeleben, doch dann war es vorbei. Ich hatte Iñaki nicht mehr helfen, sondern ihm lediglich beim Sterben beistehen können.

Solo zu klettern war immer ein Risiko. Ich war nicht gesichert, und falls etwas passierte, war ich allein, es war niemand da, der mir helfen konnte. Die einzige Sicherung: mein Können und meine Konzentration.

Nichts ausser mir und dem Berg – das schätze ich. Niemand, demgegenüber ich mich rechtfertigen muss. Ich kann selbst entscheiden und machen, was ich will. Das sind die besten Momente: Ich fühle mich wohl dabei, einfach zu gehen, zu klettern, zu laufen. Ich komme in einen schönen Rhythmus. Nichts stört, es gibt keine Unterbrechungen.

Egal, wie gut man vorbereitet ist, sobald man in die Berge geht, besteht die Möglichkeit, dass etwas passieren kann.

Das Einzige, was funktioniert, ist, sich rational auf das Handeln zu fokussieren. Sobald man Emotionen hochkommen lässt, verliert man die Nerven. Jeder Mensch bekommt dort oben Angst, wenn er auf der emotionalen Ebene betrachtet, wo er sich befindet: in einer menschenfeindlichen Umgebung, in der jeder Schritt der letzte sein könnte.

Ich realisierte, dass ich während der Durchsteigung der Annapurna-Südwand mit meinem Leben abgeschlossen hatte. Diese Einsicht war ein Schock. Es war mir im Nachhinein unbegreiflich, wie ich so viel Risiko hatte eingehen können. Ich hatte akzeptiert zu sterben. Das hatte mir in der Wand enormen Willen und Kraft verliehen, jetzt machte es mir zu schaffen.

Shisha Pangma: Ein Schritt zu weit

Um den Hang zu traversieren, war die Gefahr eines zweiten Lawinenabgangs zu hoch. [...] Mit der zunehmenden Sonneneinstrahlung und dem aufgeweichten Schnee stieg das Risiko noch an. Zu viel sprach gegen einen Rettungsversuch. Aber das bedeutete, dass wir unsere Freunde ihrem Schicksal überliessen.

Wieso waren wir noch da, und die anderen hatte es erwischt? Einfach nur Glück. Wir hätten früher umdrehen sollen. Klar, hätten wir, im Nachhinein weiss man es immer besser. Wir hatten die Situation falsch eingeschätzt.

Ja, ich hätte dort oben umdrehen sollen. Aber es war sinnlos, die Schuldfrage zu stellen. Wir waren alle fünf dort oben gewesen, jeder von uns wusste, was Sache war, wir hatten die Lawinengefahr eingehend diskutiert. Jeder war für sein Handeln selbst verantwortlich, und jeder musste die Konsequenzen seines Handelns tragen. Jeder hätte umdrehen können. Trotzdem gingen wir weiter. Zu weit, und nun waren zwei von uns tot.

Manchmal braucht es Rückschläge, damit man sich bewusst wird, was man erreicht hat und noch erreichen will.

Alle Viertausender der Alpen: Zurück zur Freude am Bergsteigen

Am Ende jener Woche war ich mir darüber klar geworden, dass ich das Projekt fortsetzen wollte. Martijn war tot, ob ich zu Hause blieb oder weitermachte, würde daran nichts ändern.

Seine Familie und seine Freunde nahmen Abschied von ihm, und mir wurde wieder einmal bewusst, was es bedeutete, einen nahen Menschen zu verlieren, und wie endgültig der Tod war. In den Jahren zuvor waren so viele Bergsteiger aus meinem Bekanntenkreis ums Leben gekommen, und ich hatte einige Menschen sterben sehen. Trotzdem war ich nicht dazu bereit, mit dem Bergsteigen aufzuhören, es war mein Leben.

Eiger: Die Faszination der Geschwindigkeit

Wenn man trainiert, werden irgendwann Dinge ganz selbstverständlich, die vorher unüberwindbar erschienen [...].