Wolfspirit

Meine Geschichte von Wölfen und Wundern

von

  • Buch auf Amazon
  • ISBN: 978-3843601412
  • Mein Rating: 7/10

Wolfspirit ist die Autobiografie von Gudrun Pflüger – einer österreichischen Wolfsforscherin und ehemaligen Spitzensportlerin in den Sportarten Langlauf, Berglauf und Crosslauf – in der sie vorallem von ihrer Zeit bei den kanadischen Wölfen und ihrem Kampf gegen den Krebs berichtet.

Ich fand Wolfspirit ein faszinierendes Buch und es hätte gerne noch etwas länger sein dürfen. Irritierend fand ich die zahlreichen Zeitsprünge, ein chronologischer Aufbau des Buches wäre vermutlich angenehmer zu lesen gewesen. Auf jeden Fall hat das Buch Lust darauf gemacht, selbst wieder einmal einen Nationalpark zu besuchen, um dort die (fast) ungestörte Natur zu geniessen und Tiere zu beobachten.

Meine Notizen

Neue Dimensionen – Kootenay

Nichts in der Natur ist "einfach so" – alles hat seinen Sinn und Ursprung.

Wir nennen das Verfolgen der Spuren "back tracking", denn sobald wir auf Spuren stossen, werden diese in die Gegenrichtung verfolgt. Das Motto heisst: Jene Forschung ist die beste, bei der die Forschungsobjekte gar nicht merken, dass sie untersucht werden. Denn nur dann zeigen sie unbeeinflusstes Verhalten.

Wann auch immer Barrieren auftauchen, wird die Einheit des Rudels zu einer Ansammlung von Individualisten. Jeder löst das Hindernis auf seine Weise; einige lässt das ganz cool und sie marschieren gerade hinüber, manche queren diagonal, wieder andere drehen ab und laufen einige Meter den Strassenrand entlang, andere schlüpfen zurück in den Wald und tauchen erst dann auf, wenn die meisten Kumpel schon auf der anderen Strassenseite sind und hetzen dann mit ein paar schnellen Sprüngen hinterher. Diese Momente, in denen ich die unterschiedlichen Persönlichkeiten der einzelnen Wölfe im Schnee niedergeschrieben sehe, faszinieren mich besonders.

Sich in den richtigen Zug setzen und ankommen. Ohne Alternativen. Wenn doch das Leben selbst so einfach und geradlinig wäre.

Im Rhythmus der Gezeiten – Küstenregenwald

Immer wieder fasziniert mich die schnelle Verwandlung eines gerissenen Beutetiers in neues Leben. Nichts wird verschwendet, nichts bleibt zurück, der volle Stofffluss kann wieder von vorne beginnen.

Die wenigen weissen Menschen, die sich an der Central West Coast angesiedelt haben, leben bewusst dort. Bewusst einfach und im Rhythmus der Natur und der Gezeiten. Immer wieder treffe ich neue Charaktere, die mir jedes Mal eine neue Art zu leben vermitteln. Und irgendwie schaffen sie es alle. Ihr Motto: "Was ich nicht brauche, das brauche ich auch nicht zu verdienen" lässt eine andere Geschwindigkeit des Lebens zu.

Mein gutes räumliches Denken hat mir nicht nur beim Orientieren im Busch geholfen, sondern auch meine Lebensphilosophie geprägt: Dasselbe Ding kann, je nach Standpunkt, sehr unterschiedlich aussehen. Und um auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, muss man entweder seinen Blickwinkel ändern oder das Ding so lange herumdrehen, bis es den Beschreibungen anderer Beobachter entspricht.

Nachtwache – Foothills

Die Gefahr, die von einem unsichtbaren Feind ausgeht, ist beklemmend, auch wenn es Wölfe sind, deren Verhalten mir vertraut ist. Aber es ist diese tiefe Urangst vor der Dunkelheit, gepaart mit der archaisch-menschlichen Erinnerung an potenziell gefährliche Raubtiere und an die Einsamkeit in der Nacht.

Mit dieser Arbeit schütze ich die Wölfe, indem ich sie verjage. Die bizarre Logik von Menschen.

So ein Rudel ist ja vor allem eines: ein gut eingespieltes Jagdteam, in dem jeder seine Stärken zugunsten des gemeinsamen Ziels, nämlich des Beutegreifens, einsetzt. Jedes Mitglied weiss um die Rolle des anderen, was er besonders gut kann und wie er sich daher verhält. Ein hohes Mass an Kooperation und gegenseitigem Vertrauen sowie schnelle, effiziente Entscheidungskraft über sein eigenes Verhalten hinaus und ausgezeichnete Kommunikation ist bei jeder Jagd unbedingt erforderlich, soll sie erfolgreich sein. [...] Wird dieses höchst kooperative Gefüge durch das Abschiessen einzelner Mitglieder immer wieder gestört, verursacht der Schütze unter Umständen genau das Gegenteil von dem, was er beabsichtigt hat: Anstatt die Wölfe von seinen Haustieren zu entfernen, zwingt er nun die Tiere sich auf leichtere Beute, sprich seine Haustiere, zu verlegen, weil er sie in ihrer Jagdeffizienz beeinträchtigt hat.

Beim Gehen hat man die Geschwindigkeit, an die unsere Sinne am besten angepasst sind, wir erfahren unsere Umwelt dabei am intensivsten.

Das Gefühl von Sicherheit lässt sich auf verschiedene Weise erreichen: indem man Macht über das Unkontrollierbare ausübt und es damit kontrollierbar macht oder indem man Wissen über das Unbekannte erlangt und es sich dadurch bekannt und vertraut macht. Ersteres geschieht durch Aggression, Zweites benötigt viel Zeit, Toleranz und Offenheit für das Neue.

Über die Monate entwickle ich ein tiefes Gefühl der Freundschaft zu ihm [zu Coal, einem Wolf]. Durch ihn habe ich gelernt, dass es nicht unbedingt nötig ist, jemanden ganz nah und immer im Blick zu haben, um eine Beziehung aufzubauen. Aber dass es wichtig ist, dem Gegenüber immer mit Respekt zu begegnen, den man beim Wolf mit räumlicher Distanz zu ihm ausdrückt. Nur dann bekommt man das wahre Bild von ihm.

Wilde Begegnungen – Livingstone

Während ich die ATV-Trails entlangwandere, fühle ich mich wie ein Alien, so ganz ohne Motor, nur mit Wanderschuhen, leise und langsam. So sehen mich auch viele der ATV-Fahrer: Sie bleiben stehen und sind neugierig, warum ich da "wandere"? Fragen, ob denn mein ATV eine Panne hätte und ob ich Hilfe bräuchte. Jedes Mal denke ich: Hey, ihr seid ja ganz nette Menschen, wie kommt es, dass ihr gegenüber der Natur so gedankenlos seid? [...] Aber dann stoppe ich meine eigenen Gedankenen und erinnere mich daran, dass wir in einer Fun-Gesellschaft leben, die den eigenen Spass über alles andere stellt, ohne Konsequenzen, ohne Verantwortung, vielleicht sogar ohne Rücksicht. Fun ist di zeitgemässe Übersetzung von falsch verstandener "Freiheit". Ich darf alles, was mir Spass macht.

Jeder Schritt zählt – unterwegs in der Welt des Sports

Wir leben, so lange wir hoffen. Oder: Nie aufgeben! Immer an das Ankommen glauben! Eine der grössten Lehren aus dem Ausdauerspitzensport war wohl genau das für mich: Das Rennen ist erst vorbei, wenn die Ziellinie überschritten ist.

Einen Grossteil des Rennens diktiert der Körper die Bewegung, vor allem am Anfang; aber je länger es dauert, desto mehr schwinden die physischen Kräfte. Aber wir sind auch Geist und Wille. Und sie können die Führung übernehmen, sich dramatisch einklinken, wenn der Körper nicht mehr kann. Dann beginnt die Grenzerfahrung, ein Zustand, in dem man etwas Grösserem in die Augen schaut.

Mir ist einmal gesagt worden: "Pass auf, wenn du einmal ein Rennen aufgibst, dann wirst du das immer wieder machen. Du gewöhnst dich an das, was einfach geht." Also wurde Aufgeben ein Tabu für mich.

Ausdauer ist wohl eine der legendärsten Eigenschaften der Wölfe. Es ist die Fähigkeit, sich einer Sache bedingungslos zu widmen. Beharrlich einem Ziel zu folgen, geduldig seinen Weg zu gehen und sich mit Vertrauen nach vorne zu bewegen. Das Wichtigste und zugleich Schwerste ist: Es braucht Zeit. Zeit, die nicht mit dem Minuten- und Sekundenzeiger gemessen wird, sondern mit der Entwicklung des eigenen Charakters. Ausdauer ist Charakterbildung. Zu Beginn steht das Unerfahrene, das Unreife. Es definiert den Wunsch, irgendwann anzukommen. Dazwischen liegen das Lernen, das Reifen. Der eigentliche Weg.

Ich habe über die Jahre eine Theorie entwickelt, dass man anhand des Zoos recht gut sagen kann, welche Werte eine Gesellschaft hat. Welchen Bezug zur Natur und welches Verständnis gegenüber den verschiedenen Tierarten.

Man muss neue Wege gehen, um weiterzukommen – und um Spuren hinterlassen zu können.

Die Weisheit des Grey Owl – Prärieleben

Der Raum, der uns umgibt, gestaltet auch uns und unseren Charakter.

Am Ende der Studie können wir erkennen, dass der Faktor Toleranz die Verbreitung des Wolfs mehr beeinflusst als jegliches andere Kriterium in der Landschaft. Wo wir Menschen bereit sind, mit dem Wolf zu leben, da lebt er. Wo wir uns gegen ihn entscheiden, da hat er kaum eine Chance. [...] Ein weiterer Beweis, wie weit wir unsere Umwelt beeinflussen, gestalten und beherrschen. Wie abhängig unsere Umgebung doch von unserer Willkür ist. Wie hilflos sie uns ausgesetzt ist. Denn trotz unserer Macht zur Veränderung, nehmen wir Menschen unsere damit eng verbundene Verantwortung viel zu oft nicht wahr.

Ich stehe einfach da und nehme die vollkommene Abwesenheit von Lauten in mich auf. Leider dauert dieser Zustand nicht allzu lange an: In meinen eigenen Ohren fängt es an zu surren. Sie sind das nicht gewöhnt, nichts zu verarbeiten.

Langsam begreife ich, warum wir Amerika "das Land der unbegrenzten Möglichkeiten" nennen. Es wird nur an den Erfolg geglaubt und in Richtung Erfolg gearbeitet. Von Misserfolgen wird nicht ausgegangen, höchstens werden sie als nötige Zwischenstationen zum Erfolg bewertet. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Die Schönheit liegt im Kargen – Tundra Time

Die Einheimischen waren bis vor Kurzem die Hüter der Natur, wie alle nordamerikanischen Indianerstämme sind die Cree und Dene in ihrer Lebensweise und Kultur innig mit ihrer Umwelt verbunden gewesen. Ja verwandt. Nun werden sie für gutes Geld von den neuen Industrien angeheuert. Sie arbeiten in den Diamantenlöchern oder im Strassenbau. Und damit fällt ihr Widerstand gegen die Zerstörung.

Wir beide stehen Seite an Seite, sind in derselben Situation, sehen dasselbe. Und doch sind unsere Reaktionen so unterschiedlich, weil wir ganz unterschiedliche Erfahrungen gemacht haben.

Das Ereignis kann ich oft nicht beeinflussen, meine Reaktion darauf sehr wohl. Die kann ich bewusst steuern.

Es ist eine Mär, dass Jäger ständig jagen und die Beute ständig auf der Flucht ist. Beiden Seiten ist in der Natur eines gemeinsam: der weise Umgang mit der eigenen Energie. Die einen zeigen das, indem sie [...] ihre potenzielle Beute beobachten. Sie wollen herausfinden, welches Tier in der Herde schwächelt und daher die grösste Chance bietet, mit möglichst wenig Risiko und Energieverlust an Nahrung zu kommen. Und die Beutetiere selbst sind gewohnt, mit ihren Raubfeinden zu leben. Ja, sie wollen diesen sogar ihre Standhaftigkeit demonstrieren, denn das zeigt Stärke und Überlegenheit. Und vor allem: Es spart ebenfalls kostbare Energie. Jedes Mal wegzulaufen, wenn ein bekannter Feind auch nur anwesend ist, macht energetisch keinen Sinn.

Berührt – wilde Insel

Wieder gesund werden, dieses Ziel funktioniert für mich nicht. "Gesund zu sein" ist ein Zustand, der so weit weg ist von meinem aktuellen Befinden, dass ich mir darunter nichts mehr vorstellen kann. Der Begriff ist zu abstrakt, zu nichtssagend. Ich brauche konkrete Ziele und Gründe, warum ich unbedingt diese Krankheit überleben will.

Alles ist möglich – Nipika

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Regenmann – daheim

Es wird auch beim Thema Wolf wieder die neue Generation sein müssen, die sowohl die Richtigkeit als auch die Notwendigkeit von Tieren wie dem Wolf erkennt. Die arme neue Generation, der wir viel zu viele Baustellen hinterlassen, von der wir die Toleranz und Anpassungsfähigkeit verlangen, die wir selbst nicht willig waren zu zeigen. Eine Generation, der wir immer mehr Natur wegnehmen, die kaum noch auf Bäume klettern oder erleben kann, wie sich das Wasser eines wilden Flusses anfühlt oder Barfusslaufen auf einem Waldboden, die nie lernt, welche Blumen da eigentlich blühen. Eine Generation, die Gefahr läuft, dass ihre Sinne für die Natur verkümmern.