Und morgen seid ihr tot

259 Tage als Geiseln der Taliban

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  • ISBN: 978-3832197223
  • Mein Rating: 7/10

In Und morgen seid ihr tot erzählen die Autoren von ihrer Entführung in Pakistan durch die Taliban, der darauffolgenden knapp neun-monatigen Gefangenschaft, und schliesslich von ihrer Flucht.

Ich fand das Buch einen faszinierenden Erlebnisbericht und die Autoren beschreiben eindrücklich das Leben in solch einer Extremsituation. Auch vermitteln sie einen kleinen Einblick in das Leben der dort lebenden Menschen. Vermisst habe ich jedoch die Sicht und Gedanken von David Och, alles wird nur aus Daniela Widmers Sicht beschrieben. Auch fand ich das Ende zu abrupt. Ich hätte gerne noch etwas darüber erfahren, wie die Rückkehr in die Schweiz war.

Meine Notizen

Die Entführung, 1. Juli 2011

Für die Paschtunen ist die Gastfreundschaft das wichtigste Gebot. Selbst Feinden gegenüber.

Er hat einen Rucksack dabei, in dem alles ist, was man für die Entführung westlicher Touristen braucht: Psychopharmaka, Zahnbürsten, Körpercreme und Zahnpasta.

Man fordert mich auf, den Turban abzunehmen und auszusteigen, sie wollen mich den Leuten vorführen. Da ich mich weigere, starren die herbeiströmenden Männer durch die Autoscheiben herein und beglückwünschen unsere Entführer zu ihrem Fang.

Wir sind umgeben von Männern in langen Gewändern und mit hennaroten Bärten. Rotes Haar gilt in dieser Region als Zeichen göttlicher Auserwähltheit. Die wenigsten haben von Natur aus rotes Haar, und so hilft man mit Henna nach.

Das Versteck in den Bergen, 9. Juli bis 14. Juli

Zwar haben sie keinen Empfang in dieser Gegend, aber alle brüsten sich mit ihren für unsere Begriffe veralteten Mobiltelefonen, auf denen sie sich Fotos anschauen und Klingeltöne dudeln lassen – stundenlang und in enervierender Lautstärke.

Die Sandburg, 14. Juli bis 4. September

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Die Bäckerei, 4. September bis 6. November

Sofort, in ein paar Tagen, in einem Monat, für die Taliban scheinen das Synonyme zu sein.

Den Taliban sind alle Zerstreuungen wie Kartenspielen, Musik, Fernsehen und Internet verboten. Sie müssen fünf Mal am Tag beten, ansonsten haben sie nichts zu tun. Wenn ihnen das Herumsitzen unerträglich wird, reinigen sie ihre Waffen oder zupfen, einen Handspiegel vor sich haltend, stundenlang mit einer rostigen Pinzette an ihren Barthaaren. Einziger Zeitvertreib sind die von den Taliban zugelassenen Propagandavideos, die sie oft von morgens halb sieben bis Mitternacht sehen.

Die Bewacher gehen uns auf die Nerven, wir ihnen, sie einander.

Wenn der eine droht, die Hoffnung aufzugeben und in Pessimismus zu versinken, findet der andere überzeugende Argumente, warum es nicht mehr allzu lange dauern kann. Aber insgeheim spüren wir, dass der Optimismus des anderen gespielt ist.

In Dumbos Hof, 6. November 2011 bis 15. März 2012

Körperliche Arbeit überlassen Paschtunenmänner ihren Frauen.

Wann verlieren die Taliban die Geduld? Werden sie uns nicht doch erschiessen, damit bei der nächsten Entführung ihren Forderungen schneller nachgegeben wird?

Die Lieblosigkeit, mit der die Kinder von den Erwachsenen behandelt werden, geben sie an Schwächere weiter, an Tiere oder kleinere Geschwister. Immer wieder loten sie aus, ob nicht auch wir, obwohl Erwachsene, zu den Schwachen gehören.

Uns wird klar, warum Empathie in dieser Familie kaum eine Rolle spielt, warum unser Schicksal hier niemandem nahegeht. Alle leben in permanenter Todesangst, die durch unsere Anwesenheit sogar noch erhöht wird. Im Krieg ist Mitleid ein absurder Luxus.

Die Flucht, 15. März 2012

Ich lege zwei Abschiedsbriefe und eine Zeichnung für Nazarjan [ein Talibanführer] ins Zimmer. Erstens wollen wir nicht in Feindschaft scheiden, trotz aller Abneigung gibt es, zumindest bei mir, auch so etwas wie Dankbarkeit gegenüber unseren Entführern, dafür, dass sie uns körperlich nicht misshandelt haben. Ausserdem wollen wir, für den Fall, dass man uns wieder einfängt, für ein wenig gut Wetter sorgen.

Seit Wochen warte ich auf nichts anderes als auf diesen Moment: den Innenhof verlassen, hinaustreten zu können in den freien Raum. Aber ich spüre keinen Rausch, nicht einmal ein Gefühl der Befreiung, die Angst hat mich im Griff, und entsprechend schwer fällt mir das Gehen.

Epilog – Das Leben danach

Wie also hat uns die Entführung verändert? Werden wir nun auf das Reisen verzichten, nur noch nach Sicherheit und einem komfortablen Stillstand streben? [...] Sollen wir den Menschen grundsätzlich mit Misstrauen begegnen? Dazu sind wir, David und ich, nicht in der Lage. Dazu haben wir zu viele positive Überraschungen erlebt, auf unseren Reisen ebenso wie in unserem Schweizer Alltag. [...] Vieles hat sich geändert durch die Entführung, aber die Freundschaften sind geblieben. Und Freundschaften lassen sich nur knüpfen, wenn man sich öffnet. Wir werden weiter auf die Menschen zugehen, wir werden neugierig bleiben, auch auf alles Fremde.