28 Tage lang

von

  • Buch auf Amazon
  • ISBN: 978-3463406404
  • Mein Rating: 10/10

28 Tage lang erzählt die (fiktive) Geschichte von Mira, einem jüdischen 16-jährigen Mädchen aus dem Warschauer Ghetto. Wie sie als Schmugglerin versucht, ihre depressive Mutter und ihre jüngere Schwester durchzubringen. Und wie sie sich nach deren Ermordung dem Widerstand anschliesst und sich als Kämpferin am Aufstand beteiligt, der 28 Tage lang dauert.

28 Tage lang hat mir ausgesprochen gut gefallen. Sehr berührend und traurig. Und immer wieder taucht die Frage auf: Was für ein Mensch willst du sein? Mit dieser Frage fordert einen der Autor zum Nachdenken auf: Wie würde man wohl selbst in solch einer Situation handeln? Die Hauptfiguren sind zwar fiktiv, doch was sie erleben, ist damals tatsächlich passiert. Der Autor hat hierzu die Erzählungen von Überlebenden genommen und zu einer eigenen Geschichte zusammengesetzt. Es kommen jedoch auch reale Personen vor, wie zum Beispiel Janusz Korczak – ein berühmter Pädagoge, der die Kinder seines Waisenhauses in den Tod begleitete anstatt sein eigenes Leben zu retten – oder der Anführer des Widerstandes Mordechaj Anielewicz.

Zitate aus dem Buch

Für die meisten Menschen, die innerhalb der Mauern [des Ghettos] leben mussten, wäre selbst ein angefaulter Apfel ein Genuss gewesen.

Bald hätten sie mich eingeholt und würden mich stellen. Wahrscheinlich würden sie versuchen mich zu erpressen, all mein Geld verlangen für das Versprechen, mich nicht auszuliefern. Und wenn ich sie bezahlt hätte, würden sie mich dennoch verraten und von den Nazis zusätzlich das Kopfgeld kassieren.

Meine Freundin Ruth verkaufte ihren Körper im Britannia-Hotel und hatte mir angeboten, mich zu vermitteln [...] Doch bevor ich so etwas machte, setzte ich lieber mein Leben als Schmugglerin aufs Spiel.

Ich konnte es immer noch nicht richtig glauben. In einer Welt, in der jeder nur an sich dachte, hatte jemand alles für mich aufs Spiel gesetzt.

Vater hatte begriffen, dass die Deutschen keine Regeln aufstellten, auf die man sich verlassen konnte. Grüssen, nicht grüssen, es war einerlei, die Regeln wurden immer so ausgelegt, dass sie einen quälen konnten.

In mehreren Hauseingängen lagen Leichen. Ein Anblick, an den ich mich nicht gewöhnen konnte. So viele Angehörige hatten weder das Geld noch die Kraft, ihre Liebsten bestatten zu lassen. Stattdessen legten sie die Toten nachts einfach auf die Strasse, damit sie wie Abfall am nächsten Tag abtransportiert werden konnten. Über Nacht wurden den Leichen die Klamotten gestohlen. Eine Fledderei, die ich sogar nachvollziehen konnte: Die Lebenden benötigten Jacken, Hosen und Schuhe viel dringender.

"Jeder ist frei zu entscheiden, was für ein Mensch er sein möchte."

Ich ging das Treppenhaus der Mila-Strasse 70 hinauf. Es war unglaublich voll. Nicht etwa weil so viele Menschen gleichzeitig in ihre Wohnungen wollten, nein, das Treppenhaus war für viele die einzige Bleibe.

Der Unsichtbare überlebte im Ghetto eher als der Starke.

Es war das eine zu wissen, dass der eigene Bruder ein Schwein war, aber es war etwas anderes, ihm dabei zuzusehen, wie er für die Deutschen Menschen verhaftete.

Um ihre neue, härtere Gangart zu unterstreichen, fuhren die Deutschen jeden Morgen mit einem Laster ins Ghetto, warfen Leichen der Menschen, die tags zuvor jenseits der Ghetto-Mauern erwischt worden waren, auf der Strasse ab und liessen sie zur Abschreckung liegen.

"Du meinst es echt ernst damit, dass die Deutschen uns vernichten wollen", stellte ich erstaunt fest. "Werden. Nicht nur wollen." Für ihn bestanden keinerlei Zweifel daran. "Die Frage ist nur", fuhr er fort, "wie willst du sterben? Willst du ein Mensch sein, der sich wehrlos abschlachten lassen will? Oder einer, der sich wehrt?"

Wenn die Deutschen uns wirklich alle vernichten wollten, würde das doch der Vorsitzende des Judenrats doch wissen. Dann würde er jetzt bestimmt nicht noch einen Spielplatz eröffnen und dabei auch noch von der Zukunft der Kinder sprechen.

Ausser Leuten wie Amos glaubte niemand an die Vernichtung. Weil es einfacher zu ertragen war, nicht an sie zu glauben? Oder weil es in Wahrheit nur ein Hirngespinst war? Menschen in Lastwagen zu sperren und sie mit Abgasen zu ersticken... so krank konnten doch nicht mal die Deutschen sein.

Gemeinsam logen wir unsere kleine Schwester an, um ihr die Angst zu nehmen. Wir logen wie die Deutschen, die uns Juden anlogen, um uns wie kleine Kinder gefügig zu machen.

Die deutschen Industriellen wie Többens und Schulz kassierten Schmiergelder von armen Seelen, die ihr letztes Hab und Gut hergaben, um als Sklaven arbeiten zu dürfen.

Seine Augen flackerten. Nichts war mehr übrig von dem alten Mann, der dem Tod gelassen entgegensieht, weil er auf ein schönes und erfülltes Leben zurückblickt. Wenn der Tod wirklich nahte, das begriff ich nun, war niemand gelassen.

Es war still. Wie ausgestorben. Wie ausgestorben – mir war noch nie zuvor bewusst gewesen, wie schrecklich dieser Ausdruck war.

Daniel wäre am liebsten mit seinen Waisengeschwistern in den Tod gegangen, und mein Bruder schickte andere ins Verderben, um selber zu leben. Was für ein Mensch will man sein?

Es war vielleicht nicht richtig, sich über einen Mordversuch zu freuen, aber ich tat es dennoch aus vollem Herzen. Nach all der Zeit des Leidens hatte jemand zurückgeschlagen!

Überall lagen Tote. Menschen, die sich mit Messern oder Rasierklingen die Adern aufgeschlitzt hatten. Diesen Umschlagplatz hätte man als Hölle bezeichnen können. Aber es war nur eine Vorhölle. Die Vorhölle der Lager.

Mir war alles egal. Nur eins nicht, ich wollte nicht sterben, ohne Deutsche mit in den Tod zu reissen. Ich wollte sie brennen sehen für das, was sie Hannah angetan hatten.

"Warum hast du ja gesagt?" Miriam lächelte [...] und antwortete, ohne irgendetwas verschleiern zu wollen oder zu müssen: "Ich habe niemanden mehr. Meine Eltern sind tot. Und ich werde nicht mehr lange leben. Ich kann also den Rest meines kurzen Lebens alleine sein oder einen Mann heiraten, den ich nicht liebe, der aber mich liebt. Michal ist das einzige an Glück, was ich kriegen kann, und das ist viel besser als nichts."

Heute würde ich sterben. Töten. Und ich hatte eine solche Angst davor.

Wir umarmten uns alle drei, jeder von uns traurig und glücklich zugleich. Traurig, weil wir Kameraden – Freunde – verloren hatten. Glücklich weil wir lebten. Und wir SS-Männer getötet hatten. Juden hatten Deutsche getötet. Nichts würde mehr so sein wie zuvor!

Wenn ich mich je gefragt hätte, wie die wenigen unter den Deutschen, die in uns Juden doch noch so etwas wie Menschen sahen, das Morden hier ertragen konnten, hätte mir dieser Anblick die Antwort gegeben: nur im Rausch.

Dieser Offizier hatte die gleichen Feinde wie wir, und genauso wie wir riskierte er im Untergrund sein Leben, um die Deutschen zu bekämpfen. Und dennoch brachte er es nicht fertig, uns als echte Polen anzusehen.

Wir waren insgesamt schätzungsweise 1400 unausgebildete Kämpfer, verteilt im gesamten Ghetto, die sich den Deutschen und ihren Panzern stellen würden, und wir hatten nicht mal eine Pistole pro Mann, dazu lediglich ein paar hundert Handgranaten und Molotowcocktails. Ja, es würde ein Meer von Blut geben. Darin würde jedoch nicht das Blut von deutschen Soldaten fliessen, sondern unseres.

Ich positionierte mich neben Amos an einem Fenster im vierten Stockwerk. Zuerst war ich unsicher, ob ich mir nicht doch lieber eine andere Stellung suchen sollte. Wollte ich wirklich neben dem Menschen, den ich liebte, kämpfen und sterben? Oder war es nicht doch besser, wenn ich nicht mit ansehen musste, wie ihn die Kugeln trafen?

Ich hatte Angst zu sterben. Und noch mehr, jemanden anders zu töten.

Bei dem Soldaten lag ein verblutender Judenpolizist, als ob die beiden im Sterben vereint wären. Doch der Polizist hatte keine Angst vor dem Tod, stattdessen schrie er mit letzter Kraft: "Ich sterbe durch jüdische Kugeln! Danke! Danke!" Er ging glücklich in den Tod, weil wir ihm in den letzten Momenten seines Lebens die Würde wiedergegeben hatten.

Zwar war ich dem Widerstand beigetreten, damit ihr Tod einen Sinn machte, doch meine Schwester würde für immer vergessen sein, wenn Ben und ich starben. Und wir würden gewiss fallen, morgen oder übermorgen, selbst wenn wir heute triumphierten. Nein, wir taten das hier nicht für Hannah. Amos hatte recht. Wir taten es für die zukünftigen Generationen. In deren Gedanken würden wir weiterleben.

Es war unfassbar. Wir kämpften für das Ghetto, und diese Menschen hatten so viel Angst um ihr Leben, dass sie uns dafür hassten.

Von einer Handgranate zerfetzt zu werden, hatte für mich wenig von einem Heldentod. Da konnte mein Verstand mir noch so sehr etwas einreden wollen, ihr Tod erschien mir genauso elendig wie der von jedem anderen Ghettojuden.

"Du bist wahnsinnig!" schrie ich Amos an. "Du kannst doch nicht ein Kind töten!" Amos antwortete nicht, seine Hand zitterte, aber er drückte den Pistolenlauf an die Stirn des Jungen. "Wenn wir das tun, dann sind wir nicht besser als die Deutschen!"

Obwohl ich wusste, dass das Ende gekommen war, auf das ich mich schon monatelang vorbereitet hatte, wollte ich nicht sterben. Weder im Kampf noch durch die eigene Hand, erst recht nicht durch das Gas.